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Helmut Ziegner (1921-2006)

Es gibt Menschen, meistens sind es Männer, über die ist viel geschrieben worden, und dennoch erfährt man über sie kaum etwas. Sie hatten ein Werk, darüber weiß man alles, doch hatten sie auch ein Leben? Wahrscheinlich ist es Menschen wie Helmut Ziegner recht, dass über ihr Leben jenseits des Werks nichts in die Öffentlichkeit dringt. Dazu ist ihnen ihr Werk viel zu wichtig.

Helmut Ziegner war gelernter Schauspieler und arbeitete nach dem Krieg beim  Rias in West-Berlin – so viel immerhin durfte man wissen. Mit dem Werk hat es nur bedingt etwas zu tun: Im Jahr 1949 kam Ziegner ins Gefängnis, und zwar entweder, weil er noch Schauspieler war, oder weil ihn der RiaS dorthin geschickt hatte, die Quellen widersprechen sich hier.

Er soll jedenfalls eine Laientheateraufführung im Moabiter Zellengefängnis besucht haben und, hier sind sich alle sicher, weniger vom Bühnengeschehen beeindruckt gewesen sein, als vom Publikum. Er sprach nach der Vorstellung mit den Gefangenen, besuchte sie später wieder, erfuhr von ihrer Angst vor der Zeit nach dem Knast – und fand so, ob er sie nun gesucht hatte oder nicht, seine Bestimmung im Leben. Um Leute wie diese hier wollte er sich kümmern.

Was genau ihn dazu trieb, wir wissen es nicht. In den Erzählungen und Zeitungstexten ist nur von einem Selbstlosen die Rede, der die Not sah, und der helfen wollte. Der sämtliche Beschäftigungen neben seinem Broterwerb aufgab und sich um Menschen kümmerte, die aus dem Gefängnis kamen und die besten Chancen hatten, wieder dort zu landen.

Denn was sollten sie mit ihrer Freiheit tun, wenn sie, entlassen aus der Staatsobhut, auf einmal auf der Straße standen, womöglich ohne Familie, ohne Wohnung, ohne Arbeit. Ohne festen Wohnsitz gab es keine Arbeit, und ohne Arbeit keine Wohnung.

Dem Staat oblag die Bestrafung der Straffälligen, mehr nicht. „Wiedereingliederung“ und „Resozialisierung“ – davon sprach man erst seit den siebziger Jahren. Helmut Ziegner kümmerte sich schon in den Fünfzigern darum. Er mietete eine große Wohnung für Entlassene, er gründete für sie Unternehmen, einen Lesemappenvertrieb, eine Schreibmaschinenreparatur, einen Betrieb namens „Universal Moniereisenbiegerei und -stanzerei, Inh. Helmut Ziegner“. Da konnten Entlassene arbeiten, bis sie anderes gefunden hatten und für Nachrücker Platz machten. 1957 entstand die Stiftung, die den Namen der Biegerei und Stanzerei übernahm, die „Universal-Stiftung“. Später kam noch ein Verein dazu, spendenfinanziert und ehrenamtlich, in dem man sich um Bildungsprogramme und Benimm-Kurse kümmerte wie auch um die „Beseitigung von berufshemmenden Tätowierungen“.

Den Verein gibt es nicht mehr, die Stiftung sehr wohl. Sie hat mehr als 200 feste Angestellte, betreibt Werkstätten und Lehreinrichtungen in Berliner und Brandenburger Gefängnissen. In den letzten Jahren ließ sich der Gründer, inzwischen sehr krank, nicht mehr oft blicken. Wenn doch, konnte es anstrengend werden. Er maß das Engagement der Leute an seinem eigenen, damaligen. Er hatte Gustav Heinemann und Günter Grass Gefängnisse besuchen lassen, warum sollte so etwas jetzt nicht mehr möglich sein?

Es heißt, Helmut Ziegner habe sich auch deshalb so gut um sein Werk kümmern können, weil er nie eine Familie gegründet hat. Abgesehen von den letzten Jahren mit seiner Schwester lebte er nie an der Seite einer Frau, die ihn hätte ablenken können. Er wurde neben seiner Mutter auf dem Heidefriedhof in Mariendorf beerdigt, auf dem Grabstein steht nur der Nachname. Die Stiftung trägt seinen ganzen Namen, „Universal-Stiftung Helmut Ziegner“. Sie ist sein Werk und war wohl auch sein Leben.

(David Ensikat)

aus "Der Tagesspiegel", 11.8.2006, Berlin

Helmut Ziegner mit Spendenkarren unterwegs